Quartier 21 –
gute Nachbarschaft als Mehrwert
Die Umwandlung des ehemaligen Hamburger Pavillonkrankenhauses AK Barmbek in ein gemischt genutztes Quartier zum Wohnen und Arbeiten fand 2013 ihren Abschluss. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Quartiersverein, der schon 2008 gegründet worden war, seine aktive Arbeit bereits aufgenommen. Den Impuls für diese Vereinsgründung hatte die Stadt gesetzt, den Projektentwicklern oblag es, diese Idee, die damals noch im Bereich der Quartiersentwicklung so gut wie keine Vorbilder hatte, konzeptionell umzusetzen. Eigentümer und Quartiersbewohner*innen hatten dann die Aufgabe, ihm Leben einzuhauchen. Über 10 Jahre sind seitdem vergangen. Ein Rückblick.
Die Campusspange im Zentrum des Quartiers - grüner Raum zum Entspannen
Etwa 1.800 Menschen leben und arbeiten heute auf dem ca. 14 Hektar großen Gelände zwischen Rübenkamp und Fuhlsbüttler Straße, dem Quartier 21. Dort ist eine neue Nachbarschaft entstanden, die langsam zusammengewachsen ist und sich als neues Quartier in den Stadtteil integriert hat. Bereits vor Projektbeginn stellte sich die Frage, wie sich dieser Prozess des Zusammenwachsens unterstützen und gestalten ließe. Auch galt es, die Pflege der weitläufigen Parkanlage mit ihrem alten Baumbestand, der großen Campusfläche und den denkmalgeschützten historischen Brunnenhäuschen sowie der in weiten Teilen erhaltenen Grundstücksmauer sicherzustellen. In diesen Bereichen, beim Erhalt der Außenanlagen und bei der Pflege der Nachbarschaft, findet der Quartiersverein, der mit offiziellem Namen Nachbarschaftsverein Quartier 21 e. V. heißt, sein Einsatzgebiet.
Das Wasserturmpalais mit dem früheren Wasserturm, heute u.a. Sitz des MeridianSpa
Nachbarschaftsvereine sind prinzipiell nichts Neues. Sie stehen als wichtiges Tool beim Sozialmanagement auf der Agenda von großen Wohnungsunternehmen oder werden aktiv von Wohnungsgenossenschaften betrieben. In Zeiten wachsender städtischer Ballungsräume, demografischer Verschiebungen und gesellschaftlicher Veränderungen spielen sie eine zunehmend wichtige Rolle. Im Fokus stehen dabei die Stärkung des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsgefühls und damit verbunden die Erhöhung der Sicherheit in Wohnquartieren sowie die Eindämmung sozialer Konflikte. Für Quartiersentwicklungen war das Thema Nachbarschaftsverein jedoch damals neu.
Im Fall des Quartier 21 machte die Stadt entsprechende Vorgaben, die im Kaufvertrag verankert wurden. Hannes Alpheis, damals Leiter Verkauf beim Landesvertrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) der Stadt Hamburg, suchte nach einem Rahmen für die Wahrnehmung oben beschriebener Aufgaben. Aus seiner Sicht bedurfte es dafür auch eines finanziellen Engagements der Eigentümer auf dem Gelände, um eine größere Verbindlichkeit gegenüber diesem Projekt herzustellen. Inspiriert hat ihn schließlich die „HafenCity-Klausel“ in den Kaufverträgen der HafenCity-Grundstücke.
“Dort wurde den Erwerberinnen und Erwerbern eine Duldungsklausel für Hafen-, Bau- und Gewerbelärm als Dienstbarkeit in die Kaufverträge geschrieben. Sie wurden verpflichtet, diese Klausel auch in ihre Mietverträge aufzunehmen“, erläutert er. „So kam ich dazu, die Etablierung eines Quartiersmanagements in die Verhandlungen mit den potenziellen Käuferinnen und Käufern entsprechender Areale aufzunehmen, nicht nur beim Krankenhausgelände Barmbek, sondern auch bei anderen Vorhaben. Manche potenziellen Käufer haben das Konzept des Quartiersmanagements aus meiner Sicht seinerzeit eher toleriert, als dass sie von der Idee begeistert gewesen wären - wollten sie doch an die Grundstücke kommen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass viele Projektentwickler auch schnell die Möglichkeit erkannten, durch aktive Quartiersentwicklung einen Mehrwert für die einzelne Immobilie zu schaffen.“
Hans Stapelfeldt, Hannes Alpheis und Bastian Humbach während einer Führung durch das Quartier 21 im Sommer 2023
Das Besondere am Nachbarschaftsverein Quartier 21 e.V. ist also, dass er im Rahmen einer Immobilienprojektentwicklung ins Leben gerufen wurde und durch die Eigentümer auf dem Areal finanziert wird. Bastian Humbach, Geschäftsführer bei HAMBURG TEAM Projektentwicklung und ehemaliger Projektleiter des Quartier 21, erinnert sich, dass nicht jeder, der dort ein Grundstück erwerben wollte, von Beginn an von der Notwendigkeit des zusätzlichen finanziellen Engagements in Form des Vereinsbeitrags überzeugt war, obwohl es sich um eine überschaubare Summe pro Eigentümer handelte:
„Wir mussten in den Gesprächen mit den Kaufinteressenten die Qualitäten und Vorteile erläutern, denn der Vereinsbeitrag wurde als Reallast ins Grundbuch eingetragen. Da ein Verein in diesem Kontext ein neues Instrument war, wussten die Käufer nicht genau, was sie erwartete. Es musste daher Erklärungsarbeit geleistet werden.“
Denkmalgeschütztes Brunnenhäuschen –
heute Depot für Spielzeug und andere Leihgegenstände
Yogastunde im Freien auf der Campusfläche
„Die Eigentümer setzten unsere Arbeit mit großem Engagement fort und füllten den Quartiersverein weiter mit Leben.“
Bastian Humbach
Bei HAMBURG TEAM lag es auch, das entsprechende Vehikel für das zu realisierende Quartiersmanagement zu finden. Letztlich wählte man hierfür den rechtlichen Rahmen eines Vereins und erarbeitete für diesen eine entsprechende Vereinssatzung, die Tätigkeiten und Struktur festlegten. Die ersten Vereinsmitglieder stammten aus den eigenen Reihen von Geschäftsführung und Projektleitung. Mit wachsender Fertigstellung des Areals begab man sich dann auf die Suche nach geeigneten Personen, die den neu geschaffenen Quartiersverein übernehmen sollten. Bastian Humbach: „Für uns als Vorhabenträger und Entwickler war es eine besondere Aufgabe, in einem so frühen Projektstadium, weit bevor überhaupt die ersten Teilprojekte des Quartiers 21 fertiggestellt waren, schon so intensiv die Themen der zukünftigen Eigentümer vorwegzudenken und in Teilen auch schon inhaltlich auszufüllen. Umso erfreuter waren wir, als wir feststellten, dass unsere Vorarbeit eine gute Basis bildete, auf der später engagierte neue Vereinsmitglieder aufsetzten konnten, die wir mittels persönlicher Ansprache unter den neuen Eigentümern fanden. Sie setzten unsere Arbeit mit großem Engagement fort und füllten den Quartiersverein weiter mit Leben.“
Einer von ihnen war und ist Hans Stapelfeldt, der seit 2012 das Amt des 1. Vereinsvorsitzenden ausfüllt. „Am Anfang hatte ich ein bisschen Sorge, dass das so ein Kleingartenverein wird und ich in einen Vereinssumpf hineingerate,“ erinnert er sich. „Das ist aber nicht passiert. Vielmehr ist der Quartiersverein schnell zu einem guten Resonanzboden für das Quartier und für die einzelnen Häuser geworden.“
Laternenumzug im Quartier, 2022
Der Quartiersverein hat schnell seine Rolle gefunden. Die gute finanzielle Ausstattung erlaubt es ihm, zahlreiche Projekte anzuschieben bzw. zu fördern. Dabei sieht sich der Verein vor allem als Identitätsstifter und Initiator. Sein beständiges Ziel ist es, die Bewohner und Bewohnerinnen im Quartier 21 zur Aktivität in eigener Sache zu bewegen. Die mehrfach im Jahr vom Verein veröffentlichte Quartierspost bringt Informationen aktiv zu den Menschen und eine Homepage bildet eine dauerhafte Informationsplattform für alle. Ein eigenes Q21 Wiki dokumentiert die wichtigsten Informationen, und auf der Pinwand kann man sich austauschen.
Verlässliche Informationsquelle: die Quartierspost
Besonders gut jedoch funktioniert die WhatsApp-Gruppe. „Wer wissen möchte, wie lebendig, vielfältig und herzlich die Nachbarschaft im Quartier 21 ist, der schaut am besten in die „Flohmarktgruppe“ des Quartiers auf WhatsApp,“ empfiehlt Hans Stapelfeldt. „Auf den ersten Blick finden sich dort die üblichen Angebote und Gesuche für Kleidung, Haushaltssachen, Spielzeug etc., eben wie in einem digitalen Flohmarkt-Forum. Auf den zweiten Blick ist diese Flohmarktgruppe anders. Bemerkenswert ist schon die große Zahl an Angeboten und Gesuchen zu den Themen Leihen, Tauschen und Verschenken. Besonders sind auch die vielen Fragen und die Bitten um Empfehlungen rund um das Leben im Quartier.“ Und er ergänzt: „Außerdem ist es praktisch unmöglich, im Quartier 21 etwas zu verlieren, egal ob eine Mütze, ein Handy, ein Spielzeug, ein Haustier, einen Schlüssel oder – erstaunlich häufig – einen Ohrring. Wer etwas findet, veröffentlicht davon ein Foto in der Flohmarktgruppe und schreibt dazu, wo es zur Abholung bereit liegt.“
Gut besuchte Feste, die erfolgreiche Behebung von Missständen auf dem Quartiersgelände, eine gepflegte Parkanlage, gut funktionierende Hausgemeinschaften, insbesondere in den Bestandsgebäuden, und quartiersweite Vernetzungen vor allem unter den Familien mit Kindern – der Quartiersverein hat sich als Erfolgsgeschichte erwiesen. Seine letzte formale Hürde nahm er 2021. Die Satzung sah vor, dass sich der Quartiersverein zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich einer Verlängerung seiner Existenz auf der Mitgliederversammlung dem Votum der Eigentümer im Quartier 21 stellen musste. So war es auch in den Kaufverträgen verankert.
Spielzeugverleih für die Kleinen im Quartier
Hans Stapelfeldt fand die Hürde, die für eine Fortsetzung des Quartiersvereins damals gesetzt wurde, erstaunlich hoch: „Bereits ein knappes Viertel der in der abstimmenden Mitgliederversammlung Anwesenden hätte die Fortsetzung gegen die ganz große Mehrheit verhindern können. Jedenfalls hatte ich mir schon Sorgen gemacht, zumal die stimmmächtigen Eigentümer der Gewerbeflächen zum Gedanken der Nachbarschaftsentwicklung keine enge Beziehung haben, und für die Eigentümer der Wohnflächen der Beitrag an den Quartiersverein ein finanzieller Aufwand ist.“ Beides war im Ergebnis dann allerdings völlig irrelevant. Das Votum für eine weitere Existenz des Quartiersvereins verlief einstimmig und seine Arbeit wurde durchgängig sehr gelobt.
Sommerfest 2015
HAMBURG TEAM als Projektentwickler ist auch heute noch als Mitglied des Vereins an Bord, auch wenn dieses sehr lange Engagement für einen Projektentwickler eher untypisch ist, nachdem alle Immobilien zum Ende der Quartiersentwicklung verkauft wurden. „Wir freuen uns, dass der Quartiersverein so erfolgreich ist,“ sagt Bastian Humbach, „und bringen gerne das Know-how aus der Entwicklungsphase in die Phase der Nutzung des Quartiers ein. Es ist schön, ein solches Projekt auf diese Art weiter begleiten zu können und auch nach Fertigstellung noch Verantwortung zu übernehmen sowie mit Rat und Tat zu unterstützen, wo es gewünscht ist.“
Daten und Fakten zum Quartiersverein
Gründung:
2008 (ab 2012 aktive Vereinstätigkeit)
Internetauftritt:
www.quartier21.net
Mitglieder:
32 Grundeigentümer
Mitgliedsbeiträge:
Monatliche Umlage/m² BGF; Jahresetat ca. 80.000 Euro
Aufgaben:
Beratung und Unterstützung der privaten Eigentümer und der öffentlichen Hand bei der Pflege und Wartung der Außenanlagen sowie der Pflege und Instandhaltung der der denkmalgeschützten Mauer; Koordination der Eigentümerinteressen, allgemeines Standortmarketing, Entwicklung von Serviceleistungen für die Bewohner und Bewohnerinnen des Quartiers
Organisation:
Zwischen 4 bis 8 Vorstandsmitglieder (1. und 2. Vorsitzender, Schriftführer und Schatzmeister sowie bis zu 4 Beisitzer), 1–2 Vorstandssitzungen/Jahr, 1 Mitgliederversammlung/Jahr, nach Bedarf erscheinende „Quartierspost“
Hannes Alpheis war damals beim LIG (Finanzbehörde) als Leiter der Abteilung Verkauf zuständig für die Vermarktung städtischer Grundstücke zur Realisierung stadtwirtschaftlicher Ziele, insbesondere Wirtschaftsförderung und Wohnungsbau. Er ist studierter Soziologe mit Schwerpunkt Stadtsoziologie.
Die Vorgaben
„Ich habe ich mich in meiner Arbeit immer dafür eingesetzt, dass bei Verkäufen nicht nur die in Rede stehende einzelne Immobilie betrachtet wird, sondern auch ihre Einpassung in die existierende oder noch zu bauende Nachbarschaft. Bei Konversionsflächen drängte es sich ohnehin auf, den Gesamtkontext mitzudenken.
Von daher lag es nahe, in den Verkaufsprozessen – gerade bezüglich größerer Areale, von denen damals kurz hintereinander viele auf den Markt kamen – einerseits auf Mischnutzungen zu achten und andererseits zu versuchen, Strukturen zu etablieren, um die soziale Interaktion zwischen den Nutzerinnen und Nutzern der Gebäude im Quartier zu befördern.
An dieser Stelle treffen sich im Kapitalismus manchmal die Interessen von Unternehmerinnen und Unternehmern und die Interessen der Stadt: Die Unternehmen verdienen mit den wertigen Immobilien gutes Geld und die Bürgerinnen und Bürger leben gerne dort, wo man das Gefühl hat, dass es nicht egal ist, wie es dort aussieht und wo man schnell auf Gleichgesinnte zum Rennradfahren trifft, eine Bierzeltgarnitur ausleihen kann und gemeinsam den Maibaum aufstellt (das Dorf in der Stadt). Und das freut die Stadt, wenn es allen gut geht.“
Bastian Humbach war damals Projektleiter des Projekts Quartier 21 und ist als heutiger Geschäftsführer nach wie vor Mitglied im Quartiersverein. Er hat die Realisierung des Vereins damals aktiv mitgestaltet.
Die Umsetzung
„Die Entwicklung eines Vereinskonzeptes mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen, von sozialer Vernetzung innerhalb der Bewohnerschaft und in den Stadtteil hinein bis zur Pflege der öffentlich genutzten Grünflächen im Quartier, bot eine interessante Perspektive im Rahmen unserer Entwicklungsaktivitäten.
Nach der Erarbeitung dieser Struktur inkl. ihrer rechtlichen Grundlage wurde es zu einer sinnstiftenden Erfahrung, die Aufgaben an die neuen, ausgewählten Eigentümer zu übergeben, die von nun an den Quartiersverein mit dem Leben füllten, das wir uns gewünscht und konzeptionell angelegt hatten. Noch heute erhalten wir Anfragen zu dieser Vereinsstruktur, der Grundidee und der Form der Umsetzung. Dies zeigt uns, dass diese Ausgestaltung ein zeitgemäßes Thema ist, das vor allem im Kontext von Quartiersentwicklungen von Bedeutung ist.“
Hans Stapelfeldt ist seit 12 Jahren 1. Vorsitzender des Quartiersvereins und seitdem mit anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in Sachen Vereinsarbeit aktiv. Er wohnt seit 2012 im Quartier 21. Vor seiner Pensionierung war er Vorstandsvorsitzender der Hamburger Pensionsverwaltung (HPV).
Die Praxis
„Der Nachbarschaftsverein im Quartier 21 ist aus meiner Sicht ein besonders erfolgreiches Beispiel für eine lebendige, durch Mitmachen geprägte Nachbarschaft. Dafür, dass es gelingen konnte, wie es gelang, sehe ich folgende Erfolgsfaktoren: Es muss Eigeninitiative unter den Bewohnern und Bewohnerinnen initiiert werden. Im Vordergrund steht die aktive Nachbarschaft. Der Verein selbst ist nur Impulsgeber. Er braucht aber eine solide Finanzierung, die er - abgesichert über eine Reallast – erhält. Mit in Summe rund 80 TEuro jährlich ist er bestens finanziert. Dazu trägt auch das starke ehrenamtliche Engagement bei.
Der ganze Prozess der Nachbarschaftsentwicklung muss anfangs von einer kleinen Gruppe von Personen in Gang gesetzt werden, die am besten bereits in der Verkaufs- und Vermietungsphase ausgewählt wird. Und schließlich sollte man so früh wie möglich mit dem Quartiersverein loslegen, denn in der Einzugsphase, wenn alle Bewohner und Bewohnerinnen das Neue, Ungewisse als Gemeinsamkeit haben, ist es einfach, Mitmacher und Mitmacherinnen zu gewinnen. Am Anfang – so wie in diesem Fall – hilft der Projektentwickler.“