30 Dezibel am Ohr des Schläfers
„Machst du bitte mal das Fenster zu, es ist zu laut!“ Alle, die an einer viel befahrenen Straße wohnen, kennen diesen Ausspruch.
Andreas Pfisterer
Der Dipl.-Ing. Architekt und Prokurist ist seit über elf Jahren bei HAMBURG TEAM.
Als technischer Bauherrenvertreter hat er schon so einiges gesehen. Hier nimmt er das Thema Schallschutz aufs Korn.
»Machst du bitte mal das Fenster zu, es ist zu laut!«
Alle, die an einer viel befahrenen Straße wohnen, kennen diesen Ausspruch. Ich selbst habe einmal in der Nähe des Siemersplatzes in Hamburg-Lokstedt gewohnt, konnte nachts kaum bei offenem Fenster schlafen und hätte mir irgendeine Form mechanischer Wohnraumlüftung gewünscht. Diese ist im Rest der Republik eine gebräuchliche technische Lösung, in Hamburg jedoch nicht vorstellbar. In unserer Stadt gelten bei Wohnungsneubauten ganz eigene Regeln, um die baurechtlich erforderlichen 30 Dezibel am Ohr des Schläfers zu erzielen, und eine lautet in etwa wie folgt: Wer an einer lauten Straße wohnt, muss nachts sein Fenster öffnen können, ohne dass es drinnen zu laut wird. Das klingt nicht nur nach einem Widerspruch in sich, sondern die entsprechenden Konstruktionen, die daraufhin zum Einsatz kamen, muten auch wie ein solcher an.
Ausgangspunkt war das HafenCity-Fenster, das in seiner äußerst aufwendigen „Ur-Form“ gegen den Gewerbelärm aus dem Hafen entwickelt wurde. Für den Wohnungsbau war es aber viel zu teuer. Die mittlerweile hierfür entwickelte „Light-Version“ ist nur noch die Karikatur eines Fensters und lässt sich wie folgt beschreiben: eine circa 50 mal 70 Zentimeter kleine Fensterkonstruktion, die im Fußbodenbereich sitzt, sich hinter einer nicht zu öffnenden äußeren zusätzlichen Glasscheibe versteckt (einer sogenannten Prallscheibe), innen durch einen schallabsorbierenden Rahmen zusätzlich verunstaltet wird und sich gerade einmal vier Zentimeter weit öffnen lässt. Und das Beste: Zur Bedienung muss man sich auf den Boden knien.
Hafen-City-Fenster light: Luftstrom geht an der
Prallscheibe vorbei durch gekipptes Fenster.
Haben Sie sich auch gerade bei dem Gedanken ertappt, dass könne doch alles nicht wahr sein?
Doch. Der zumindest auf Behördenseite angenommene Vorteil dieser Lösung ist der „psychologische Effekt“. Man hat das Fenster geöffnet, man hört den Verkehr nicht mehr, aber dafür die spielenden Kinder und die zwitschernden Vögel. Diese singen laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in der Stadt zum Glück viel lauter. Zudem spürt man den Luftzug und hat das Gefühl von frischer, ungefilterter Stadtluft.
Ich zweifle nicht nur an diesen Argumenten, sondern stelle auch die Gebrauchstauglichkeit solcher Konstruktionen infrage. Wir selbst haben nun in einem ersten Pilotprojekt zusätzlich zu den behördlich geforderten HafenCity-Fenstern auch Fenster mit sogenannter Parallelabstellung eingebaut, die mit besonderen Beschlägen ausgestattet sind. Diese sind in der Lage, die Belüftung des Zimmers sicherzustellen. Das Fenster wird hierbei rundherum in eine Position gebracht, bei der es einen geringen Spalt offen steht. In diesem Zustand kann ausreichend Luft einströmen und das Fenster ist dennoch einbruchhemmend, schlagregendicht und kann bis zu 19 Dezibel Verkehrslärm mindern. Ich bin sicher, dass die Bewohner diese Konstruktionen bereitwilliger annehmen werden als die ebenfalls im Projekt verbauten Versionen des HafenCity-Fensters. Wir haben hiermit eine echte funktionierende Alternative hinbekommen. Diese wollen wir in zwei Jahren evaluieren, um mit dem Ergebnis dann erneut bei der Behörde vorzusprechen, die unseren Optimierungsvorschlägen bislang ablehnend gegenüberstand. So lange müssen wir für formelkonforme Bauweise jedoch noch in die Knie gehen.
Fenster mit Parallelabstellung: Luft kann an allen Seiten einströmen.