Kunst­werk unter Tage

Die Wände des Schachtbauwerks sind aufgemauert© BWS GmbH

Neues Schacht­bau­werk an der Budapester Straße

Kunst­werk unter Tage

Stadt­PlanProjekte

Bevor ein neues Gebäude entstehen kann, muss der Blick vorab auch immer in den Boden gehen, auf dem gebaut werden soll. Und nicht selten gibt es da vor Baustart einiges zu tun. So wie im Fall des Pauli­haus, das demnächst an der Ecke Budapester Straße/Neuer Kamp im Hamburger Stadt­teil St. Pauli entstehen wird. Dort mussten zunächst die Abwas­ser­lei­tungen, die vom Nachbar­ge­bäude kamen und quer über das Grund­stück verliefen, neu kanali­siert werden. In diesem Zusam­men­hang entstand auch ein unter­ir­di­sches Schacht­bau­werk, das mit seinen geschwun­genen Linien als handwerk­li­ches Kunst­werk gelten kann. Heute verrichtet es in sechs Meter Tiefe seine Dienste im Verborgenen.

Schema­ti­sche Darstel­lung der Umver­la­ge­rung der Abwas­ser­lei­tungen unter dem zukünf­tigen Paulihaus

Ein Zeitraum von acht Monaten und der Bau mehrerer über das Grund­stück verteilter Baugruben waren erfor­der­lich, um vor der Pfahl­grün­dung des Gebäudes im Erdreich die notwen­digen Voraus­set­zungen zu schaffen. „Das Neubau­pro­jekt machte die Verle­gung der Entwäs­se­rungs­lei­tungen (blau), die von der Rinder­mark­halle quer durch das Erdreich über das Grund­stück führten, notwendig“, erläu­tert Kathrin Bartels vom Ingenieur­büro BWS GmbH anhand des Lageplans die Ausgangs­lage. Gemeinsam mit einem Kollegen war sie mit der Überwa­chung dieser Baumaß­nahme, die von einem Tiefbau­un­ter­nehmen ausge­führt wurde, beauf­tragt worden.

Nachdem man verschie­dene Heran­ge­hens­weisen zur Lösung des vorlie­genden Problems disku­tiert hatte, verfolgte man schließ­lich folgenden Ansatz: „Wir einigten uns darauf, auf jede Leitung, die von der Rinder­mark­halle kam (blaue Leitungen), einen Schacht zu setzen, das Wasser in einem horizon­talen Strang zu bündeln und dann über eine Leitung mit einem Durch­messer von 60 cm unter dem künftigen Neubau durch­zu­führen, ohne dabei die spätere Gründung zu beein­träch­tigen (s. rote Leitungen)“, erläu­tert Bartels. Parallel zur östli­chen Grund­stücks­grenze zur Rinder­markt­halle hin wurde daher eine Bohrpfahl­wand gesetzt und eine entspre­chende Baugrube erstellt, in der insge­samt acht Schächte gesetzt wurden. Die Trasse für das Rohr zu finden, das dann später von Osten nach Westen quer durch das Grund­stück verlaufen sollte, war Aufgabe der Statiker. Dabei galt es, die Lage der späteren Bohrpfähle für die Gründung des Gebäudes zu berücksichtigen.

Vorsich­tiges Freilegen der Leitungen auf der Baustelle oberhalb des künftigen Schachtbauwerks.

Die Baugrube für das Schacht­bau­werk wird erstellt und der Bagger nimmt das Erdreich auf.

Ursprüng­lich sollte die neue Abwas­ser­lei­tung möglichst nah an der Stelle liegen, an der die alte Leitung (blau) nicht mehr unter dem Grund­stück, sondern bereits im öffent­li­chen Raum verläuft. „Damit lagen wir dann aber schon im Gehweg­be­reich, und laut recht­li­cher Vorgabe im Sielbau darf keine private Leitung im öffent­li­chen Raum liegen,“ setzt Bartels fort. Was also tun? Die Lösung bot ein gemau­ertes Schacht­bau­werk, das die alte mit der neuen Leitung verbinden sollte. „Uns war relativ schnell klar, dass wir hier kein Beton­bau­werk reinsetzen konnten und ein Fertig­teil sowieso nicht“, erläu­tert Bartels. „Das wäre viel zu groß und schwer und bei den Platz­ver­hält­nissen auf der Baustelle gar nicht reali­sierbar gewesen. Es blieb also nur, das Ganze zu mauern.“ Die Vorgaben, wie so ein Bauwerk auszu­sehen hat, liefert die entspre­chende Hamburger Richt­linie, die ZTV Siele, die die Stärke und die Krümmung der Wände bestimmt. Da das Bauwerk später komplett im Erdreich liegen und starken Kräften ausge­setzt sein würde, führte die stati­sche Berech­nung zu der markanten Eiform.

Das alte Entwäs­se­rungs­rohr ist gefunden und wird geöffnet.

Ein Provi­so­rium ersetzt die alte Leitung, damit eine Sohle für das Schacht­bau­werk herge­stellt und das Aufmauern der Wände in der vorge­ge­benen Verbund­stärke beginnen kann.

Die Wände des Schacht­bau­werks sind aufge­mauert. Links oben sieht man das gesicherte Kabelpaket.

Das Gerinne, in das später das Abwasser aus dem neuen Rohr fließt, ist herge­stellt. Das Bestands­rohr wird später gekappt und nach rechts hin „verdäm­mert“. Links mündet das Gerinne in das alte Rohr.

Für die Erstel­lung dieses Unikats sorgten dann die Schacht­maurer, die das Ganze von Hand aufge­mauert haben. „Ein Schacht­bau­werk dieser Größe ist eher die Ausnahme“, erläu­tert Bartels, „und was die ganze Sache noch spannender machte, war die Tatsache, dass das alles in sechs Meter Tiefe passierte, um an die bestehende Leitung anschließen zu können.“ Als weitere Heraus­for­de­rung stellte sich vorab die Sondie­rung der vorhan­denen Strom- und Telekom­mu­ni­ka­ti­ons­lei­tungen dar, die auf dem Gelände oberhalb des späteren Schacht­bau­werks verlegt waren. Zunächst mussten diese mit der Schaufel vorsichtig freige­legt, den einzelnen Versor­gern zugeordnet und dann in einem Kabel­paket gesichert werden. Später würden diese Leitungen über dem Schacht­bau­werk liegen, doch zunächst mussten sie „zur Seite geräumt“ werden. „Das war ein Prozess, der viel Zeit und Nerven gekostet hat“, berichtet Bartels.

Vorbe­rei­tung für das Schütten der Beton­decke des Schacht­bau­werks, hinten rechts der Auslass für den Schacht nach oben.

Die Verfül­lung der Baugrube beginnt. Rechts ist der erste Schacht­ring zu sehen.

Auch das Auffinden des bestehenden Entwäs­se­rungs­rohres, durch das das Wasser zukünftig in das Straßen­siel (braun) geführt werden sollte, war nicht einfach. Es gab Anhalts­punkte, wo es in etwa lag, doch ganz genau wusste man es nicht. Schließ­lich übertrug man diese Aufgabe den Kampf­mit­tel­son­die­rern, die das Rohr mit ihren feinen Geräten aufspürten. Nachdem man es in der Baugrube erreicht hatte, wurde es geöffnet und für die Zeit, in der auf diesem Wege noch Wasser floss, ein Provi­so­rium instal­liert. Auf diese Weise konnte unter­halb des Provi­so­riums die Sohle für das Schacht­bau­werk entstehen. Danach begannen die Schacht­maurer mit ihrer Arbeit. Das Verbinden des alten Abwas­ser­sys­tems (blau) mit dem neuen (rot) erfolgte nach einem exakten Zeitplan an den Wochen­enden außer­halb der Betriebs­zeit der Rinder­markt­halle. Die alten Leitungen, die durch das neue System nutzlos wurden, wurden „verdäm­mert“, d. h. mit Beton verfüllt. Nach Setzen der Bohrpfähle für die Gründung des Gebäudes werden sie im Rahmen der Erstel­lung der Tiefga­rage ausgebaut.

Blick von oben in den Schacht, der über dem Schacht­bau­werk entstanden ist und eine Begehung im Wartungs­fall ermöglicht.

Verschluss der Beton­ringe mit einem Sieldeckel

Fünf Meter breit und drei Meter tief musste das Schacht­bau­werk werden, um die neue Abwas­ser­lei­tung mit der alten über ein Gerinne zu verbinden. Wegen dieser Größe war es auch zwingend erfor­der­lich, dass die Decke hoch genug war, damit innen­drin für den Fall einer Wartung jemand bequem stehen kann. Über der Beton­decke folgte dann der normale Schacht­aufbau mit den Beton­ringen und Steig­eisen zum Herunter- und Hinauf­klet­tern. Seinen oberir­di­schen Abschluss fand das Ganze mit dem Schacht­de­ckel, dem einzigen sicht­baren Hinweis auf das kunst­volle Bauwerk, den man heute über Tage noch sieht.

1300 1733 HAMBURG TEAM
Suchbegriff eingeben ...
This site is registered on wpml.org as a development site. Switch to a production site key to remove this banner.