Nah am Wasser geplant
Interview mit Michael Ziller
In Hamm-Süd entsteht ein neues Quartier, das die umliegende Nachbarschaft miteinander vernetzen wird. Im Interview spricht der Münchner Architekt Michael Ziller über den Wettbewerbsentwurf und die Chancen, die das neue Quartier dem Stadtteil bietet.
Michael Ziller in seinem Büro in München
Ihr Büro hat den Wettbewerb für die Neubebauung der Osterbrookhöfe in Hamm-Süd gewonnen. Wie gingen Sie bei der Entwicklung des Quartiers vor?
Der grundlegende Ansatz bei diesem Projekt war, durch den innovativen Umgang mit dem öffentlichen und halböffentlichen Raum eine nachhaltige Wohnqualität zu schaffen. Das neue Quartier soll die Umgebung – die Grundschule von Fritz Schumacher, die prägenden Backsteinbauten, die sich im Umfeld befinden, sowie die Kanäle und den Aschbergpark – einbeziehen. Es geht nicht nur um die einzelnen Gebäude, sondern auch um das, was dazwischen liegt: die Erschließung und die Erdgeschosszonen, die das Projekt prägen. Durch die Ausgestaltung von verkehrsfreien öffentlichen Gassen, die als erweiterte Wohnzonen dienen, werden die Räume mit Leben gefüllt. Diese Zwischenräume schaffen die Möglichkeiten der sozialen Interaktion im Quartier.
Die parallel zum Südkanal verlaufende Wendenstraße ist nicht durchgängig im Sinne eines Blockrands bebaut. Dies haben wir aufgegriffen, sind im nördlichen Bereich teilweise zurückgewichen und haben in Anlehnung an eine „Hamburger Burg“ den Quartiersplatz geschaffen. Gleichzeitig bildet sich oberhalb der Grundschule, die im Westen an das Grundstück grenzt, eine prägnante Eingangssituation am Park. Mit dieser Geste wird die Schule als Adresse im Quartier wahrnehmbarer.
Wohnen am Wasser: Die Osterbrookhöfe im Überblick
»Der grundlegende Ansatz bei diesem Projekt war, durch den innovativen Umgang mit dem öffentlichen und halböffentlichen Raum eine nachhaltige Wohnqualität zu schaffen.«
Der Entwurf arbeitet stark mit der Öffnung zum Wasser. Wie sind Sie vorgegangen, um diese Zugänglichkeit bestmöglich zu gewährleisten?
Die umliegenden Gebäude besitzen eine heterogene Bebauungsstruktur. Wir spielen mit den verschiedenen Richtungen und möchten an der Diagonalstraße, wo sich die Straße verschwenkt, eine geschlossene Situation schaffen. Daraus ergeben sich südlich private Gartenhöfe. Diese verbinden sich zu einem Park am Wasser. An der Kreuzung der beiden Kanalarme wird dieser urbaner, im Sinne einer Warft, und das Wasser dadurch in den Fokus gerückt. Hier gibt es zudem noch die Möglichkeit, mit einem Steg unter der Brücke das Quartier in Richtung Hansaterrassen zu verbinden. Im südlichen Bereich des Quartiers bildet sich auf diese Weise am Wasser eine Parksituation mit hoher Aufenthaltsqualität heraus, an der Wendenstraße hingegen schafft der Quartiersplatz eine städtische Situation, die Blicke vom Stadtteil ins Grüne eröffnet.
Der Entwurf ermöglicht vier Erschließungen des Quartiers von Norden nach Süden, die das nachbarschaftliche Umfeld mit dem Park am Wasser verbinden: entlang der Grundschule und über die drei autofreien Wohngassen. Hinzu kommt, dass das Grundstück von der Straße zum Wasser ein Gefälle von 2,5 Prozent aufweist, was auf der Gesamtlänge ungefähr einem Geschoss entspricht. Dieses Gefälle ergibt mit den unterschiedlichen Gebäudehöhen insgesamt einen abwechslungsreichen Raum mit Versätzen und Höhenversprüngen, der Straße und Park barrierefrei verbindet.
»Der öffentliche Zugang zum Wasser und die Freizeitnutzungen am südöstlich gelegenen Aschberg sind Qualitäten, die man selten in Quartieren dieser Größenordnung findet.«
Das Quartier weist eine hohe Durchmischung hinsichtlich der Wohnformen auf. Es gibt Eigentumswohnungen, preisgedämpften und frei finanzierten Mietwohnungsbau, das Systemhauskonzept und gefördertes Seniorenwohnen. Gleichzeitig gibt es Gewerbenutzungen in einigen Teilen des Quartiers. Das klingt sehr vielfältig.
Die Vielfalt ergibt sich durch die Anforderungen der Bauherren, die mit ganz unterschiedlichen Ansätzen an das Projekt herangehen: Das Unternehmen HAMBURG TEAM, das sowohl Miet- als auch Eigentumswohnungen baut, und die SAGA, die kostengünstiges Wohnen für die gesellschaftliche Mitte bereitstellt. Darüber hinaus wird es Seniorenwohnen sowie zwei Kindertagesstätten geben. Ein Nahversorger und ein Quartierscafé sind ebenfalls geplant.
Was macht das Quartier sonst noch besonders?
Wir haben versucht, im Quartier zukunftsorientiert mit der Mobilität umzugehen, zwischen den Gebäuden verkehrsfrei zu arbeiten und die fußläufige Erschließung atmosphärisch zu prägen. Wir planen heute die Stadt, in der wir morgen leben möchten: Die Osterbrookhöfe sind ein Quartier für eine neue Generation von Nutzern, bei denen nicht wie bisher ein Auto vor dem Eingang steht. Die Durchwegungen und das Grün sind für das Quartier und die Nachbarschaft wichtig. Je dichter gebaut wird, umso relevanter wird die gute Gestaltung solcher Räume.
Das Projekt wurde in einem kooperativen städtebaulich-freiraumplanerischen Gutachterverfahren entwickelt. Worin liegt der Unterschied zu anderen Wettbewerbsverfahren?
So ein Verfahren beinhaltet viele Aspekte. Zunächst einmal muss man sehen, dass durch die kleine Teilnehmeranzahl sowie den intensiven Austausch mit den Bauherren und mit der Nutzer- bzw. Quartiersbeteiligung auch für uns die Arbeit intensiver wird. Dadurch sind viel mehr Aspekte berücksichtigt, als dass bei einem anonymen Wettbewerb der Fall ist. Ein weiterer Punkt ist, dass bei diesen Verfahren Politik und Verwaltung sehr nah dran sind. Als Architekt bekommt man das Gefühl, dass Inhalte wirklich umgesetzt werden. Und schlussendlich ist für uns die Präsentation der eigenen Arbeit wichtig. Ich glaube, es ändert viel, wenn man seine Idee auch emotional vermitteln kann.
Das Außergewöhnliche ist, dass sich verschiedene Bauherren für dieses Projekt zusammengefunden haben. Wenn ich HAMBURG TEAM und die SAGA näher betrachte, dann sind das zwei unterschiedliche Partner, die beide einen starken inhaltlichen Fokus haben und sich ergänzen. Beide werden in dem Quartier dauerhaft als Bestandshalter agieren. HAMBURG TEAM hat bereits mit den Hansaterrassen ein Projekt in unmittelbarer Nachbarschaft entwickelt und ist zudem mit der denkmalgeschützten Hansaburg wesentlich mit dem Quartier verwoben. Das spürt man unter anderem an den inhaltlichen Vorgaben für die Osterbrookhöfe.
»Insgesamt wird sich hier ein durchmischtes Quartier mit einer vielfältigen Bewohnerstruktur entwickeln.«
Gibt es solche Verfahren auch in anderen Bundesländern?
Wir kennen Verfahren mit Bürgerbeteiligungen und dem Input von Politik in ähnlicher Form z. B. in München oder Berlin. Aber es ist immer noch kein Standardverfahren, sondern dem Umstand geschuldet, dass heutzutage das Nutzer- und Quartiersinteresse lokal viel stärker als früher sind. Ich glaube, der Mehrwert dieser Verfahren zeigt sich später in der Umsetzung – darin, wie sich das Neue in den Rest einfügt, dass sich ein Quartier entwickeln kann und dass es dabei weniger Spannungen gibt. Dies alles leistet einen nachhaltigen Beitrag für den Standort.
Ist das die Zukunft? Sollte man aus Ihrer Sicht so künftig eine Stadt planen?
Ich glaube, es wird nicht mehr anders gehen. Es sind ja keine reinen Öffentlichkeitsveranstaltungen, das muss auf einer viel gesellschaftlicheren und politischeren Ebene betrachtet werden. Demokratische Prozesse zeigen in diesem Kontext ihren Einfluss auf den Städtebau.
Welche Chancen bieten die Osterbrookhöfe für den Standort – für die jetzigen, aber auch für die künftigen Anwohner?
Das Gebiet der Osterbrookhöfe war lange Zeit durch die Sport- und die Kleingartennutzung privatisiert. Nun wird es zu einem öffentlichen Ort, und der Zugang zum Wasser ist hergestellt. Wenn dort künftig das eine oder andere Kanu anlegen kann, entsteht eine Vernetzung über das Wasser. Auf energetischer Ebene scheint eine Vernetzung über die nahe gelegene Großrösterei möglich, die das Quartier nachhaltig mit ihrer Abwärme versorgen könnte.
Das Quartier entwickelt sich durch zahlreiche neue Angebote jenseits der vielfältigen Wohnraumnutzungen. Neben beispielsweise Nahversorgung oder Quartierscafé zählen dazu die Sport- und Freizeitflächen und das Schwimmbad am Aschberg, das bisher nur kurze Zeit als Freibad nutzbar war und künftig als Hallenbad ganzjährig für Schule und Nachbarschaft zur Verfügung stehen wird.
Mit den öffentlichen Gassen erhalten die Osterbrookhöfe eine ganz besondere Atmosphäre. Im besten Fall bringt jemand seinen Stuhl nach unten in die Wohngasse, und daraus wird spontan ein kleiner Nachbarschaftstreff.