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FRIDA - ein Bund fürs Leben

FRIDA - 
ein Bund fürs Leben

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Warum wollen immer mehr Menschen in Gemein­schaft leben? Die Zahl gemein­schaft­li­cher Wohnpro­jekte in Deutsch­land wächst. Doch bis das gemein­same Dach über dem Kopf fertig ist, vergehen oft viele arbeits­reiche Jahre und nicht jedes Projekt erreicht die Zielge­rade. Ein Besuch bei der Bauge­mein­schaft FRIDA im Neuen Hulsberg-Viertel in Bremen.

© HAMBURG TEAM

Als Claus Langer beim Spaten­stich der Bauge­mein­schaft FRIDA das Wort ergreift, um den rund 30 Versam­melten noch einmal vor Augen zu führen, was sie alles schon erfolg­reich gemeis­tert haben, fängt es prompt an zu regnen. Schirme werden aufge­spannt, Kapuzen hochge­klappt, aber Langer lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, erzählt von den ersten Treffen der jungen Bauge­mein­schaft im Jahr 2020, der Bewer­bung um das Grund­stück, der späteren Anhand­gabe und der Bauge­neh­mi­gung, die Ende 2024 kam. Schließ­lich treibt der zuneh­mende Regen doch alle unter das aufge­baute Zelt, das durch ein paar Böen gefähr­lich ins Wanken gerät. Nachdem Verpfle­gung und Gläser in Sicher­heit gebracht sind, steht man dicht an dicht gedrängt unter dem Zeltdach und es wird munter geplau­dert, während man sich über die Köpfe hinweg Platten mit Häppchen hin- und herreicht. Es herrscht eine fröhlich-vertraute Stimmung und es wirkt, als seien hier Menschen zusam­men­ge­kommen, die bereits heute eine feste Gemein­schaft bilden, deutlich bevor sie tatsäch­lich eine Wohn- und Lebens­ge­mein­schaft unter einem Dach sein werden.

Mit dem Spaten­stich, so könnte man sagen, hat die Bauge­mein­schaft FRIDA, die zweite im Neuen Hulsberg-Viertel in Bremen, den Sprung aus der Theorie in die Praxis geschafft. „Jetzt muss ja nur noch das Haus gebaut werden“, sagt Jutta Unland und lacht. Sie ist nicht nur Mitbe­grün­derin von FRIDA, sondern mit ihrem Büro auch die zustän­dige Archi­tektin des Projektes. Nach einer von Höhen und Tiefen geprägten Findungs­phase hat das Bauge­mein­schafts­pro­jekt FRIDA 2020 auf einem Wochen­ende in Worps­wede so richtig Fahrt aufge­nommen. Seitdem ist viel Arbeit in diesen Traum vom gemein­samen Leben geflossen und die Gruppe hat beständig an Erfah­rungen und an Mitglie­dern gewonnen. Inzwi­schen sind alle Wohnungen bis auf zwei vergeben. Bis zum Einzug, der für den Jahres­wechsel 2026/2027 geplant ist, wird die neue Wohnge­mein­schaft sicher­lich komplett sein. Über 40 Menschen beginnen dann gemeinsam einen neuen Lebens­ab­schnitt. Doch bis es so weit ist, steht für alle noch ein bisschen Arbeit an.

FRIDAs Geschichte

2020

Nach einer Findungs­phase nimmt das Wohnpro­jekt Formen an. Suche nach Mitstreiter*innen, erste Infoveranstaltungen

25./26.09.2020

Erstes Planungs­wo­chen­ende der Bauge­mein­schaft, die damals aus etwa 10 Mitglie­dern bestand, in Worps­wede. Dort entsteht der Name FRIDA als weibli­ches Pendant zur Bauge­mein­schaft KARL, die 2019 bereits den Zuschlag für ein Grund­stück an der Fried­rich-Karl-Straße im Neuen Hulsberg-Viertel bekommen hatte.

15.12.2022

Einrei­chung der Bewer­bung für das Grund­stück Baufeld H im Neuen Hulsberg-Viertel

17.05.2023

Anhand­gabe des Grundstücks

18.09.2024

Ankauf des Grundstücks

01.11.2024

Die Bauge­neh­mi­gung liegt vor.

13.04.2025

Spaten­stich und Beginn der Bauarbeiten

2026/2027

Fertig­stel­lung und Einzug

Die Zukunft selbst gestalten

Plenums­sit­zung Anfang April in Bremen, kurz vor dem Spaten­stich. Die FRIDAs kommen hierzu in den Weser­ter­rassen unweit des Neuen Hulsberg-Viertels zusammen. Mit einem sogenannten Blitz­licht wird zu Beginn eine kleine Stimmungs­um­frage gemacht. Wie es den Versam­melten mit dem Ausblick auf den nun nahenden Spaten­stich gehe, fragt Silvia Plücker in die Runde. Sie ist Gründungs­mit­glied bei FRIDA und Co-Modera­torin dieser Sitzung. Die Anwesenden bringen in wenigen Sätzen zum Ausdruck, was sie denken und fühlen. Da ist viel von Kribbeln im Bauch, von Freude und auch von Ungläu­big­keit, dass es nun endlich real wird, die Rede. Bei einigen wird aber auch eine gewisse Müdig­keit ob der ganzen Aktivi­täten und Anstren­gungen, die FRIDA einem konti­nu­ier­lich abver­langt, spürbar. Andere bringen zum Ausdruck, dass sie viel Respekt haben vor dem, was doch noch an Arbeit bis zum Einzug vor ihnen liegt.

In der wöchent­lich statt­fin­denden Plenums­sit­zung findet die gemein­schaft­liche Arbeit und Abstim­mung in der Gruppe statt. Hier wird disku­tiert, abgestimmt und entschieden. Über die Gestal­tung des Hauses, über Neuauf­nahmen von Mitglie­dern, über die Vergabe von Aufträgen. Die Aufbe­rei­tung der einzelnen Themen und entspre­chenden Vorlagen erfolgt in den Arbeits­gruppen. Bei FRIDA gibt es davon zehn an der Zahl, darunter die AG Recht, die AG Finanzen, AG Archi­tektur, die AG Grün, die AG Öffent­lich­keit und die AG Konzept. Jedes Mitglied bringt sich zumin­dest in eine der AGs ein. Themen, die aus den AGs für das Plenum erarbeitet werden, finden sich dann später auf der Tages­ord­nung des Plenums, werden vorge­stellt und bespro­chen. An diesem Abend ist beson­ders die AG Archi­tektur gefragt. Sie hat Beschluss­vor­lagen für die anste­henden Auftrags­ver­gaben erstellt. Es wird erläu­tert, verlesen, abgestimmt. Wer nicht vor Ort sein kann, hat vorher seine Stimme einem anwesenden FRIDA-Mitglied übertragen. Es folgen Berichte aus der laufenden Arbeit weiterer AGs. Syste­ma­tisch und konzen­triert wird die Tages­ord­nung der Sitzung abgear­beitet, die immer wechselnd von zwei Mitglie­dern moderiert wird. Auffal­lend ist die diszi­pli­nierte Arbeits­at­mo­sphäre. Wer sprechen möchte, hebt vorher die Hand.

Wolfgang Schneider, 75, kam aus Saarbrü­cken über Gießen auf den beruf­li­chen Wegen der Infor­matik nach Bremen, ist heute „Un-Ruheständler“

„Ich glaube, mit zuneh­mendem Alter entwi­ckelt der Mensch ein immer größeres Bedürfnis nach Fürsorg­lich­keit, ein Sich-gerne-kümmern-Wollen. Das erlebe ich bei mir, aber auch bei anderen ziemlich deutlich. Manche schaffen sich dann einen Hund an und bringen es da unter. Aber das ist nicht meins. Ich möchte anderen gerne etwas geben.“

In Deutsch­land gibt es heute eine große Bandbreite an Projekten gemein­schaft­li­chen Wohnens, Tendenz steigend. Bei Motiva­tion und Konzept zeigen sich deutliche Unter­schiede, je nachdem, wo die Gemein­schaften ihre Priori­täten setzen. Den Nährboden bilden in der Regel ökono­mi­sche, soziale und ökolo­gi­sche Aspekte. Daraus entwi­ckelt jede Bauge­mein­schaft ihr eigenes Konzept. Längst ist auch bei den Verant­wort­li­chen in der Stadt­ent­wick­lung angekommen, welche positiven Impulse Bauge­mein­schaften in den Quartieren setzen, dadurch dass sie moderne Wohnformen fördern, stabile Nachbar­schaften bilden und in der Regel das Thema Nachhal­tig­keit beson­ders im Blick haben. Bei der Rechts­form kann es sich um Genos­sen­schaften (eG), Gesell­schaften bürger­li­chen Rechts (GbR) oder auch schlicht um einge­tra­gene Vereine (eV) handeln. Es werden aber auch Gesell­schaften mit beschränkter Haftung (GmbH) gegründet. Eine spezi­elle Form stellt die recht­liche Verfas­sung in Form einer GmbH und eines Vereins dar. Dabei ist der Hausverein Gesell­schafter bei der Haus-GmbH und übernimmt die Selbst­ver­wal­tung und Geschäfts­füh­rung. Der zweite Gesell­schafter ist das sogenannte Miets­häuser Syndikat, ein Projekt­ver­bund, der deutsch­land­weit über 200 Projekte dieser Art mitein­ander verbindet. Durch sein Vetorecht bei Hausver­kauf und Satzungs­än­de­rungen wird eine mögliche Repri­va­ti­sie­rung dauer­haft verhin­dert, da sich die beiden Gesell­schafter nicht gegen­seitig überstimmen können. In Bremen sind derzeit sieben Wohnpro­jekte Mitglieder im Miets­häuser Syndikat. Im Fall von FRIDA wurde die Rechts­form der GmbH & Co. KG gewählt, d.h. Grund­stück und Haus gehören der Gesell­schaft, den Kommanditist*innen wiederum die Gesell­schaft, deren sechs Geschäftsführer*innen aus dem Kreis der Mitglieder stammen.

„So eine Gemein­schaft ist für mich ganz klar eine Prophy­laxe, um nicht in Lebens­si­tua­tionen stecken­zu­bleiben, die dann nicht mehr änderbar sind. Entweder weil ich so verstei­nert bin oder weil es einfach keine finan­zi­ellen oder sonstigen Spiel­räume mehr gibt.“ (LM)

„Für mich bedeutet in Gemein­schaft leben, solida­risch zu sein mitein­ander, sich gegen­seitig anzuregen und sich auszu­tau­schen. Es bedeutet für mich letzt­end­lich, einge­bettet zu leben und trotzdem ich selbst sein zu können.“ (US)

Lothar Möhle, 58, gebür­tiger Ostfriese, ist langjährig bei einem Wohlfahrts­ver­band in der psycho­so­zialen Arbeit tätig.

Ute Schadek, 49, jüngstes Mitglied, mag die Bremer Vielfalt, hat als Landschafts­öko­login beruf­lich sehr viel mit dem Netzausbau für erneu­er­bare Energien zu tun.

Für das Leben mit FRIDA verkaufen die Mitglieder Häuser und Eigen­tums­woh­nungen, aktivieren Rücklagen und Erbschaften. Insge­samt sind sie finanz­stark. Dass das so ist, hat sicher­lich auch etwas mit der Alters­struktur zu tun, denn die Mitglieder sind eher schon am Ende ihrer Berufs­tä­tig­keit angekommen, ein Teil befindet sich schon im Ruhestand. Die Alters­spanne reicht von 49 bis 82 Jahre, das Durch­schnitts­alter liegt bei etwa 60 Jahren.
Bei KARL, der ersten Bauge­mein­schaft im Hulsberg-Viertel, die bereits 2024 in ihr Haus einge­zogen ist, ist das anders. KARL ist eine Genos­sen­schaft. 50 Erwach­sene und 20 Kinder leben genera­tio­nen­über­grei­fend an der Fried­rich-Karl-Straße zusammen. Die Schwer­punkte liegen auf einem solida­ri­schen und basis­de­mo­kra­ti­schen Zusam­men­leben und dem Thema Nachhal­tig­keit. Eine Offen­heit gegen­über dem Stadt­teil ist ihnen wichtig. Im Erdge­schoss befinden sich eine Kita, eine Bio-Backstube mit Café und ein Veran­stal­tungs­raum, der vermietet wird. „Wir hätten auch gerne direkt im Konzept soziales Engage­ment festge­schrieben und hatten da viele Ideen“, sagt Silvia Plücker, „da sind wir aber durch die Grund­stücks­kosten, die am Ende viel höher waren als kalku­liert, an unsere finan­zi­ellen Grenzen gekommen. Das empfinde ich persön­lich als etwas bitter. Aber mal schauen, was wir da vielleicht doch noch machen können.“

Silvia Plücker, 63. Gemein­schafts­er­fah­rungen zu machen, war immer das, worum es ihr ging. Gerade verab­schiedet sie sich als Lehrerin aus der Berufstätigkeit.

„Ich finde dieses projekt­hafte Wohnen in Gemein­schaft eigent­lich alter­na­tivlos, egal in welcher Konstel­la­tion, ob für Paare oder Einzel­per­sonen und insbe­son­dere mit Kindern. Das klassi­sche Famili­en­mo­dell ist für mich ein Auslauf­mo­dell, das selten funktio­niert, dafür aber oft zu Lasten der Frauen geht, die nach Trennungen mit kleiner Rente später allein bleiben.“

Indivi­dua­lität und Gemein­schaft in Einklang bringen

Bei FRIDA kommen Menschen zusammen, die bislang unter­schied­lich viele Erfah­rungen mit dem Thema Leben in Gemein­schaft gemacht haben – oder auch gar keine. Im Leben von Silvia Plücker ging es nach ihren Worten eigent­lich immer darum, Gemein­schafts­er­fah­rungen zu machen. Das Thema zieht sich wie ein roter Strang durch ihr Leben. Ebenfalls WG-erprobt und praktisch zeitle­bens inter­es­siert an verschie­denen Konzepten sozialen Mitein­an­ders ist Silke Alshuth, die FRIDA schon früh auf dem Radar hatte, dann aber zwischen­zeit­lich wieder Abstand nahm und erst 2022 fest beitrat. Bei Wolfgang Schneider, seit Herbst 2024 bei FRIDA, war zwar schon jahrzehn­te­lang ein Inter­esse an Projekten gemein­schaft­li­chen Wohnens vorhanden, aber letzt­lich passte es dann nie. Bis FRIDA kam. Lothar Möhle und Ute Schadek, seit Sommer 2023 feste Mitglieder, kommen als Paar mit Hunde­dame Motte zu FRIDA und beschreiben es eher als Zufall, dass sie nun dabei sind, denn aktiv auf der Suche waren sie damals nicht. Er bringt viele Erfah­rungen im gemein­schaft­li­chen Wohnen mit, sie ein immer schon vorhan­denes großes Inter­esse daran und das sichere Gefühl, dass ihr das liegt und sie künftig gerne so leben möchte.
Allen Mitglie­dern bei FRIDA gemeinsam ist, dass sie das Zusam­men­leben unter einem Dach wirklich wollen.
Die Frage ist aber auch, was man – neben dem Wunsch nach Gemein­sam­keit – mitbringen sollte, wenn man sich auf so ein Wohnpro­jekt einlässt. „Toleranz, ganz viel Toleranz“, sagt Silvia Plücker sofort. „Und Konflikt­be­reit­schaft. Und Kommu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit. Und man darf kein so aufge­blähtes Ego haben, sondern muss das Gemein­wohl im Fokus haben.“ Dann ergänzt sie noch schnell: „Und Humor“. Silke Alshuth nickt. „Genau, Humor ist sowieso immer gut und entspannt die Dinge. Und für mich ist auch Vertrauen in die anderen, dass die alle ihr Bestes geben, wichtig.“ Für Wolfgang Schneider steht bei dieser Frage Konflikt­fä­hig­keit im Vorder­grund. „Und die muss abgewogen werden mit Harmo­nie­be­dürf­tig­keit“, sagt er und sieht es für sich als Aufgabe, seine Grenzen zwischen beidem auszu­loten. Auch sollte man über ein gewisses Durch­hal­te­ver­mögen in schwie­rigen oder anstren­genden Phasen und ein gerüt­teltes Maß an Gemein­schafts­fä­hig­keit verfügen, ergänzt er. Für Ute Schadek muss es neben Toleranz auch Offen­heit geben. „Man muss die Menschen so nehmen können, wie sie sind“, sagt sie. Und Lothar Möhle formu­liert es so: „Man muss sich anderen Menschen zumuten mögen, und man muss dann im Gegenzug auch damit umgehen, dass andere Menschen das genauso tun. Und dann entsteht Gemein­schaft, und zwar nicht im Sinne von Kuscheln, sondern im Sinne von sich gegen­seitig ernst nehmen und dazu gehört auch Abgren­zung.“

„Für mich war es mit FRIDA am Anfang ein bisschen wie Verliebt­sein. Und als wir dann irgend­wann beim Notar saßen und die Unter­schrift geleistet haben, hat sich das ein bisschen wie heiraten angefühlt. Es ist ja wirklich etwas Großes. Wir schmeißen hier alle unsere Leben zusammen.“

Silke Alshuth, 55, ist Lehrerin an einer Grund­schule und findet, dass eine beein­dru­ckende Schwarm­in­tel­li­genz entsteht, wenn wir unser Können zusammentun.

„In den letzten einein­halb bis zwei Jahren, als das Projekt schon deutlich Formen angenommen hatte, ist die Gruppe sehr gewachsen“, erzählt Helke Napierala. Sie ist seit Anfang 2024 dabei und engagiert sich u.a. in der AG Neue Mitglieder und Öffent­lich­keits­ar­beit. „Wir haben viel Werbung gemacht. Zu den Infover­an­stal­tungen sind teilweise 60 bis 70 Leute gekommen, um sich zu infor­mieren. Übrig geblieben sind dann zumeist drei oder vier, die sich dann wirklich inter­es­siert haben.“ Für die Zeit des Kennen­ler­nens bekamen die poten­zi­ellen Neuzu­gänge Pat*innen von FRIDA an die Seite gestellt, die für sie erste Anlauf­stelle für die Beant­wor­tung aller Fragen waren. Sie konnten auch an Plenums­ver­an­stal­tungen teilnehmen und in AGs reinschnup­pern. Manchmal wurden speziell für sie noch weitere Treffen zum besseren Kennen­lernen arran­giert. Wer sich dann sicher war, stellte einen Antrag auf Teilnahme und unterzog sich einem Finanz­check bei einem externen Finanz­be­rater, um vorab zu klären, ob der Wunsch vom gemein­samen Leben auch auf soliden finan­zi­ellen Beinen steht. Die Entschei­dung über Neuauf­nahmen lag dann beim Plenum. Danach war das neue Mitglied stimm­be­rech­tigt. Etwas später erfolgte dann die Unter­zeich­nung des Gesell­schaf­ter­ver­trags beim Notar. Ist auch schon einmal ein poten­zi­elles neues Mitglied abgelehnt worden? „Ja“, sagt Helke Napierala. „Es gibt die Möglich­keit ein Veto einzu­legen, anonym, und das muss auch nicht erklärt werden.“ Sie hätte das bisher einmal miter­lebt und bei der fragli­chen Person selbst auch ein Grummeln im Bauch gespürt. Bislang habe es aber nie Probleme gegeben, wenn das mal vorge­kommen sei.

Ein anderes Konflikt­po­ten­zial für die Gruppe – beson­ders in der frühen Phase – bot die Vergabe der Wohnungen. Vor allem die Dachge­schoss­woh­nungen waren stark begehrt. Hier kam das syste­mi­sche Konsen­sieren zum Einsatz. „Wir haben in der Gruppe jemanden, der macht syste­mi­sche Beratung und kennt sich damit aus“, sagt Helke Napierala. Beim syste­mi­schen Konsen­sieren geht es darum, eine Lösung zu suchen, die am wenigsten abgelehnt wird und daher dem Konsens am nächsten kommt. Die Methode orien­tiert sich daran, wie groß oder klein der Wider­stand ist. Helke Napierala schil­dert das Verfahren: „In einem großen Raum wurden alle Wohnungs­grund­risse auf dem Boden aufge­klebt. Man sollte sich in einer ersten Runde auf die Wohnung stellen, die am wenigsten infrage kommt und dann sagen, was daran trotzdem gut ist. In der zweiten Runde auf die Wohnung, die der zweit­beste Kompro­miss für einen wäre, wieder mit Benen­nung von deren Vorzügen, und erst in der dritten Runde auf die Wunsch­woh­nung.“ Auf diese Weise wurde nach und nach die bestmög­liche Lösung für alle heraus­ge­kit­zelt. Bei der zweiten Gruppe, in der die Wohnungs­ver­gabe auf diesem Weg vonstat­ten­ging, konnten bestehende Inter­es­sens­kon­flikte durch die Änderung von Grund­rissen bzw. das Tauschen von Wohnungen gelöst werden. Helke Napierala selbst war beim dritten Schwung dabei. Da sei damals eine Frau ausge­stiegen, weil am Ende doch keine Lösung gefunden werden konnte, sagt sie. Doch insge­samt hätte sich das Verfahren bewährt und alle seien mit ihren Wohnungen zufrieden.

© unland+koch

Wohnpro­jekt FRIDA - Innenhofansicht

Der Gemein­schaft ein Zuhause geben

Das künftige Gebäude von FRIDA wird 35 Wohnungen sowie eine Gäste­woh­nung umfassen. Darüber hinaus gibt es einen Gemein­schafts­raum mit Küche, einen Multi­funk­ti­ons­raum, der auch vermietet werden soll, ein separates Bad mit Badewanne (weil es in den Wohnungen vor allem Duschen gibt), einen Wasch­raum mit Wasch­ma­schinen (die Entschei­dung, ob man eine Wasch­ma­schine in der Wohnung haben will, trifft jeder für sich) und eine Werkstatt. Es entstehen ferner ein Innenhof mit Garten sowie eine Dachter­rasse zur gemein­schaft­li­chen Nutzung. Angedacht hat die Wohnge­mein­schaft auch eine „Biblio­thek der Dinge“, denn nicht jeder müsse ja eine Bohrma­schine, ein Waffel­eisen oder einen Wok in der Wohnung haben. Zumal sich eigent­lich alle von der Wohnfläche her verklei­nern. Wie das dann organi­siert wird, ob es einen Raum mit all diesen gemeinsam zu nutzenden Dingen gibt, oder ob sie verteilt in den Haushalten aufbe­wahrt werden und man sie sich gegen­seitig ausleiht, das wird sich finden.

© Heiko Biermann

Noch gibt es hier viel zu tun auf dem Grund­stück der Bauge­mein­schaft. Doch die Erdar­beiten sind bereits in vollem Gange (Juni 2025).

Mit dem Wachsen des Hauses konzen­trieren sich jetzt die Gedanken verstärkt auf das gemein­same Wohnen, darauf, wie man es sich vorstellt und wünscht und wie sich dieser Aufbruch in eine neue Lebens­phase anfühlt. Hierzu wollte Wolfgang Schneider eigent­lich auf dem Spaten­stich zusammen mit ein paar anderen Mitglie­dern ein Lied singen, doch dieser Programm­punkt fiel leider sprich­wört­lich ins Wasser. Der Text des Liedes lautet: Leben einzeln und frei wie ein Baum, leben brüder­lich wie ein Wald. Das ist unsere Sehnsucht. „Diese Worte stammen vom türki­schen Dichter Nazim Hikmet“, erläu­tert Schneider, „und treffen, wie ich glaube, ganz gut das Lebens­ge­fühl von FRIDA, den Wunsch nach einem Ausgleich zwischen Indivi­dua­lismus und Gemein­schafts­leben.“ Seine einzige Sorge in diesem Zusam­men­hang sei, dass – käme es doch einmal zu größeren Konflikten – man sich nicht recht­zeitig profes­sio­nelle Hilfe hole. Er wünscht sich, „dass wir oft gemeinsam kochen und zusammen essen.“

Wenn Lothar Möhle an den Moment des Einzie­hens denkt, dann regt sich bei ihm ein Gefühl, wie er es von früher von Klassen­fahrten und Jugend­her­bergs­über­nach­tungen kennt. „Das ist etwas ganz Kindli­ches, Neugie­riges, Frisches, das ich da spüre, und das stelle ich mir ja mit Menschen vor, die eindeutig nicht mehr im Schüler*innenalter sind.“ Wenn Ute Schadek an den Einzug denkt, dann fühlt sich das so an, als wäre sie nach vielen Runden des Fliegens über den Flughafen, endlich gelandet, könne nach der langen Phase der Planung endlich das Leben beginnen: „Ich freue mich darauf, aber es ist eher so eine ruhige Freude, als würde ich mich nach einem langen Tag zufrieden aufs Sofa setzen.“

Silvia Plücker hat schon heute zahlreiche Ideen für zukünf­tige gemein­same Aktivi­täten im Hause FRIDA. Die Palette reicht von Kultur­ver­an­stal­tungen, ob Musik, Literatur oder Malerei, Sport­an­ge­boten und vielem anderen mehr. „Wir sind ja so viele, und da bringt jeder etwas an Fähig­keiten und Kennt­nissen mit, an denen die Gemein­schaft teilhaben kann. Das ist der Vorteil dabei, wenn alle nicht mehr ganz so jung sind. Wir haben eben schon viel auf unseren ‚Festplatten‘ ansam­meln können“, sagt sie.
Und bei allen Wünschen und Gefühlen, die der Einzug in das gemein­same Haus schon jetzt beflü­gelt, ist auch Platz für einen gewissen Pragma­tismus, der in den Worten von Silke Alshuth durch­klingt, und mit dem sie sicher­lich nicht allein dasteht: „Dass ich schon jetzt mein Haus ausräume, meine Kinder später dann nur noch 52 Quadrat­meter auflösen müssen und ich mich bereits in Richtung alters­ge­rechtes Wohnen orien­tiere, das ist doch super­ver­nünftig und schön!“

Spaten­stich im März 2025 - im Hinter­grund sieht man die Rückseite der Häuser der Straße Sorgenfrei.

Wie immer sich das Zusam­men­leben der FRIDAs gestalten wird, klar ist: Dieses Wohnpro­jekt steht unter einem guten Stern. Denn das Baufeld H, das die Bauge­mein­schaft im Neuen Hulsberg-Viertel erworben hat, trägt den Beinamen „Hallo Sorgen­frei“, weil es an die Rückseite der bestehenden Wohnstraße „Sorgen­frei“ grenzt. Ein verhei­ßungs­voller Start in die gemein­same Zukunft!

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