Büroimmobilien in Deutschland
Zu viel, zu schlecht, aber bedeutungsvoll durch „Placemaking“
Die gute Nachricht für Bürobestandshalter, -investoren und -entwickler ist sicherlich, dass die Zukunft der Arbeit und die davon abhängige Existenzberechtigung von Büroflächen mittlerweile nicht mehr als binäre Option debattiert wird, nach der Arbeit in Zukunft ausschließlich im oder außerhalb des Büros erbracht wird. Ironischerweise erklärte selbst der US-amerikanische Videokonferenzanbieter und pandemiebedingte Unternehmens-Champion Zoom bereits im vergangenen Jahr seine Mitarbeiterschaft im Rahmen einer „strukturierten Hybrid Policy“ wieder für einige Tage pro Woche in das Büro zurückzuholen. Amazon kündigte jüngst sogar an, die bisher bestehende Home-Office-Regelung ab Januar kommenden Jahres gänzlich aufzuheben und die Angestellten wieder fünf Tage pro Woche in die Büros kommen zu lassen. Als Standard zeichnet sich jedoch ab, dass Arbeit an beiden Orten stattfindet und das Büro seine grundsätzliche Relevanz für einen Großteil der Unternehmen behalten wird. Die Bedeutung des Büros für dessen Nutzerinnen und Nutzer hingegen wird zunehmend abhängig von den „Placemaking“-Qualitäten sein, die es bietet. Die Konzeption der Büroumgebung muss sich hierbei primär an dem Nutzen der Menschen orientieren, die sich darin aufhalten.
Schreibfederhöfe, Berlin: Büro- und Gewerberäume in einem historischen ehemaligen Fabrikgebäude aus dem Jahr 1900 mitten im pulsierenden Stadtteil Friedrichshain
Auch wenn man von einer anhaltenden Existenzberechtigung des Büros ausgeht, gehört zur Wahrheit aber auch, dass der Bedarf an Büroflächen in Gänze in Zukunft unweigerlich abnehmen wird. Dieser Trend basiert auf mehreren Faktoren:
Technologischer Fortschritt und digitale Transformation
Der technologische Fortschritt und die zunehmende Digitalisierung (u.a. Prozessautomatisierung durch KI) führen zu einer sich verringernden Notwendigkeit nach physischen Arbeitsplätzen. Die sogenannte „Occupational Transition“ führt in Zukunft zu einer Zunahme wissensorientierter Jobs (und entsprechend einer Abnahme nicht-wissensorientierter Jobs), während hingegen ca. 30% der heutigen Arbeit bis 2030 laut Studien der Unternehmensberatung McKinsey automatisiert werden könnten.
Hybride Arbeitsmodelle
Wie auch immer man zu dem Thema Home-Office steht, ein höherer Grad an Flexibilität und „Remote Working“ wird bleiben und einen Einfluss auf die von Unternehmen benötigte Bürofläche haben. In teilweise entstehenden „Desk Sharing“-Modellen wird die Reduzierung der Bürofläche trotz tendenziell zunehmender Kommunikationsflächen (Working Cafes, Lounges, Bibliotheken, Projekträume etc.) stärker ausfallen. Dies entspricht bereits heute vielfach unserer Wahrnehmung bei Mietvertragsverhandlungen.
„Schrumpfvergreisung“
Der voraussichtlich gewichtigste, aber überraschend selten in diesem Zusammenhang diskutierte Faktor betrifft den prognostizierten Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland bis 2060 (>10%). Mit der Alterung der deutschen Bevölkerung (Eintritt der geburtenstarken „Babyboomer“-Jahrgänge in den Ruhestand) und der negativen Aussicht in Bezug auf das Bevölkerungswachstum stellt die demografische Entwicklung im Bürosegment – im Gegensatz zu wohn- und pflegeorientierten Immobiliensektoren – einen negativen Flächenbedarfsaspekt dar. Die sinkende Anzahl an Personen im erwerbsfähigen Alter, geringe Geburtenraten und eingeschränkte Nettozuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland führen langfristig zu einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials, wie es in diversen Prognosen u.a. vom Statistischen Bundesamt und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung aufgezeigt wird.
Sinkende Wirtschaftskraft
Der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials, die strukturelle Verlagerung zukunftsorientierter Branchen in das Ausland und der steigende Druck auf die sozialen Sicherungssysteme, insbesondere in Bezug auf die Renten- und Gesundheitsversorgung, führen dazu, dass die Wirtschaftskraft in Deutschland im globalen Verhältnis sinken, bzw. sich zunehmend in andere Regionen verlagern wird (vgl. z.B. die Studie „The World in 2050“, PWC). Einige Analysen prognostizieren, dass das Wirtschaftswachstum Deutschlands jahrzehntelang nicht wesentlich über einem Prozent liegen könnte.
Bei all den negativen Implikationen für den deutschen Büromarkt ist aber eine Differenzierung und Einordnung insofern sinnvoll und notwendig, als dass ein grundsätzlich weiterhin hoher Bedarf an Büroflächen unter Berücksichtigung der steigenden Bürobeschäftigtenquoten und der Zunahme wissensorientierter Arbeit bestehen wird. Nicht mehr so hoch, wie er einmal war, aber eben noch hoch.
Büroflächennachfrage in den deutschen Top-8-Bürostandorten seit 2007
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Daten der BNP Paribas Real Estate GmbH
Schaffung von Bedeutung
Der zukünftige Büroflächenbedarf wird sich wesentlich auf zukunftsfähige Büros beschränken. Was aber sind zukunftsfähige Büros? Stellt man diese Frage dem KI-Chatbot ChatGPT, so beschreibt er zukunftsfähige Büros zusammengefasst in etwa als: flexibel, nachhaltig, technologisch fortschrittlich und menschenzentriert, während es hybride Arbeitsmodelle unterstützt und das Wohlbefinden der Menschen fördert, die sich in ihnen aufhalten.
Ursprünglich gedacht war das Büro als Ort, an dem man sein muss, um zu arbeiten (Ort der Leistungserbringung). Heute und in Zukunft muss es der Ort sein, an dem man sein will, um zu arbeiten. Wo man sein möchte, hängt in diesem Kontext wesentlich von der Umgebung und der eigentlichen Gestaltung der Räumlichkeit ab.
Mikrolagen und Zentren mit hoher Bürodichte sind typischerweise unattraktive Orte für das Wohlbefinden von Menschen. Stark mischgenutzte urbane Gegenden mit hohen Aufenthaltsqualitäten und infrastrukturellem Nutzen hingegen sind typischerweise eher attraktive Orte. Hiernach unterscheidet sich allerdings bereits stadtplanerisch die Einordnung der Metropolen in Bezug auf die Frage, welche Mikrolagen über welche Qualitäten verfügen. Was grundsätzlich gesagt werden kann, ist, dass die so häufig geäußerte sehr einfache Formel von „CBD (Central Business District) = beste Bürolage“ zu kurz gesprungen ist.
Mischnutzung, Urbanität, Hospitality, Infrastruktur und attraktive Flächen zum Verweilen sind wichtige Schlüssel auf allen drei Ebenen: der Stadt, der Mikrolage bzw. dem Quartier und der Immobilie. „Placemaking“ ist ein ursprünglich aus der Stadtplanung stammendes Konzept, das darauf abzielt, öffentliche Räume mit dem Ziel zu gestalten oder zu transformieren, Menschen anzuziehen, sie zum Verweilen einzuladen und eine emotionale Verbindung zu ihnen aufzubauen. Es geht darum, Lebensqualität zu erhöhen und soziale Interaktion zu fördern.
Ein Paradebeispiel an gelungener und zukunftsorientierter Stadtplanung liefert sicherlich die dänische Hauptstadt Kopenhagen. So entstand z.B. in Nordhavn, einem früheren Hafenareal, im Rahmen eines radikalen Entwicklungs- und Umnutzungsprozesses ein mischgenutzter, urbaner Stadtteil, der sich an dem sogenannten „5-Minuten-Stadt“-Konzept orientiert. Einkaufsmöglichkeiten, infrastrukturelle Einrichtungen, Arbeitsplätze, Wohnungen und der ÖPNV sind innerhalb von 5 Minuten zu Fuß oder per Fahrrad zu erreichen. Nachhaltige Mobilitätsoptionen, wie attraktive Gehwege oder Fahrradstraßen sowie umfangreiche Grünanlagen und zum Wasser ausgerichtete Aufenthaltsplätze und Promenaden, erhöhen gezielt das Wohlbefinden der Bewohner und Bewohnerinnen sowie Büroangestellten und schaffen Gelegenheiten für soziale Interaktionen. Zwei unterhaltsame Symbole für das moderne und aktive Kopenhagen sind in diesem Zusammenhang sicherlich auch „Park’n’Play“, ein 2.400 m² großer Sport- und Spielplatz auf dem Dach eines Parkhauses, oder „CopenHill“, eine halbjährlich befahrbare künstliche Skipiste auf einer intakten Müllverbrennungsanlage.
Das Konzept des „Placemaking“ bezieht sich jedoch nicht nur auf die Stärkung der Identität von Städten und Mikrolagen, sondern kann und muss auch auf Gebäude und Büroflächen selbst übertragen werden. Die Aufenthaltsqualität sowie der kommunikative und infrastrukturelle Nutzen von Immobilien werden zunehmend unerlässlich für deren Relevanz. In Bezug auf Büroimmobilien muss das Ziel sein, Flächen zu gestalten, die nicht nur produktivitätssteigernde Arbeitsplätze bieten, sondern das Wohlbefinden und die Interaktion der Mitarbeiterschaft fördern. Mit dem neu entworfenen Hauptsitz der Danske Bank im ebenso neu realisierten, urbanen Teilmarkt Postbyen wird auf rd. 70.000 m² zudem die auf Kollaboration und Aufenthaltsqualität ausgerichtete Flächenkonzeption einer sehr zeitgemäßen Büroumgebung sichtbar. Postbyen als Standort intensiviert die Qualität durch eine gezielt mischgenutzte Umgebung mit diversen attraktiven gastronomischen und infrastrukturellen Angeboten (Cafés, Foodhall, Restaurants, Cocktail- und Weinbar, Supermarkt etc.) sowie begrünten Außenflächen mit einer Promenade und optimaler Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz.
In den Fällen, in denen es nicht gelingt, die Relevanz eines bestehenden Bürogebäudes durch konzeptionelle Einwirkungen und „Placemaking“ zukunftsfähig aufrechtzuerhalten, werden Überkapazitäten, also „Stranded-Assets“ im Sinne eines Bedeutungsverlustes entstehen. Was passiert mit diesen Überkapazitäten, also den Objekten, die für eine transformative Gestaltung bei ursprünglichem Nutzungserhalt nicht infrage kommen? Ein Abriss dieses obsoleten Bestandes ist in Gänze sicherlich keine Lösung, weder aus energetischen Gesichtspunkten sinnvoll noch aufgrund des Gesamtvolumens realistisch. Vielmehr müssen Lösungen entwickelt werden, um mit diesem Bestand über gezielte Konversionsstrategien einen Beitrag zur städtebaulichen Attraktivitätssteigerung zu erzielen und den bestehenden Flächenmangel in Bezug auf Nutzungen des sozial-urbanen Interesses zu bedienen. Der Mangel an bezahlbarem Wohnen ist sicherlich die Immobilienkrise unserer Zeit. Aber auch weitere Mietwohnformen wie Studentenapartments oder altersgerechte Wohnungen sowie Einrichtungen für Bildung, Kinderbetreuung, ärztliche Versorgung und Nahversorgung stellen Nutzungsalternativen dar, die das Potenzial haben, Mikrolagen und Gebäude zu aktivieren. Die derzeit stattfindende preisliche Ausdifferenzierung auf dem Markt für Gewerbeimmobilien erlaubt es erstmals seit 10 Jahren, diese Investitionen wirtschaftlich und mit kapitalmarktadäquaten Risikoprämien umzusetzen.
Über den Autor
Daniel Werth ist Geschäftsführer bei HAMBURG TEAM Investment Management und verantwortet dort den Bereich Gewerbe. Dies umfasst insbesondere die strategische Anlagekonzeption, die Transaktionsaktivitäten sowie das Fonds- und Asset Management.